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Mächte der Südflanke der NATO

Skiba: Türkei

30. März 2003

Wir haben wieder eine Arbeit von Alexander Skiba, Berlin, anzubieten und danken:

Geostrategische Aspekte der Türkei (pdf)

 

 

Die nachfolgende Darstellung der Mächte-Situation an der Südflanke der NATO ist nicht von GeoPowers verfasst. Sie ist in jeder Hinsicht beachtenswert. Stand: Juli 2000.

 

Ü b e r b l i c k

Mit der Überwindung der Ost-West-Konfrontation seit 1989 haben sich die politischen und strategischen Bedingungen für Sicherheit und Stabilität in und für Europa grundlegend verändert. Dies hat auch erhebliche Folgen für die strategische Bedeutung des Mittelmeerraums. Bedrohungen und Risiken für Europa ergeben sich nicht mehr als Folge und Funktion des globalen, auch die Mittelmeerregion prägenden Ost-West-Gegensatzes, sondern entstehen aus den Konflikt- und Spannungspotentialen der einzelnen Länder oder der Region selbst. An die Stelle der eindimensionalen Bedrohungsmuster der Blockkonfrontation sind vielschichtige Risiken und Herausforderungen militärischer, politischer, wirtschaftlicher, ökologischer und demographischer Instabilität getreten.

Der Mittelmeerraum ist damit zunehmend ins Zentrum des westlichen strategischen Interesses gerückt. Er ist die Brücke nach Nordafrika und in den Nahen Osten. 350 Millionen Menschen, 22 Anrainerstaaten, drei Kontinente, drei monotheistische Religionen, unterschiedliche Gesellschaftsformen, Wirtschaftssysteme und Kulturen treffen hier aufeinander. Starkes Bevölkerungswachstum, mangelnde sozio-ökonomische Basis, der islamische politische Fundamentalismus und Gefahren der Proliferation schaffen ein latentes Konflikt- und Krisenspektrurn, das Europa und das Bündnis jederzeit auch direkt fordern kann.

Von den neun nördlichen Mittelmeeranrainern sind fünf Mitglied der Nordatlantischen Allianz, von denen wiederum vier zur Europäischen Union gehören. Malta und Zypern liegen als Inselstaaten zwischen den Gegenküsten - beiden hat die Europäische Union eine Beitrittsperspektive eröffnet. Sieben arabische Staaten (Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Libanon, Syrien), die Palästinensischen Autonomiegebiete und Israel bilden die Gegenküste zu Europa. Der Suez-Kanal, die Dardanellen und die Meerenge von Gibraltar stellen die drei strategischen Passagen und Verbindungen zu den Weltmeeren her. Globale geopolitische wie geostrategische Bedeutung erhält der Mittelmeerraum durch die umfangreichen Energievorkommen in der Region.

Geographisch gliedert sich der Mittelmeerraum in ein westliches und ein östliches Becken, getrennt durch die italienische Halbinsel. Die Staaten des Maghreb (Mauretanien, Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen) unterscheiden sich von den arabischen Staaten des östlichen Mittelmeerraumes in wichtigen Aspekten. Eine geringere ethnisch-religiöse und kulturelle Zersplitterung (Berber, Saharouis) prägt die West-Region und bietet so weniger Konfliktursachen als im Osten (Juden, Kopten, Armenier, Palästinenser, Kurden, Türken). Die über Jahrhunderte gewachsenen intensiven Kontakte zu Europa haben Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft der Maghreb-Region mitgeprägt, aber auch große nordafrikanische und nahöstliche Bevölkerungsgruppen in Spanien, Frankreich, Italien und Deutschland ansässig werden lassen. Die Staaten des Maghreb sind in deutlich höherem Maße ökonomisch von Europa abhängig als die östlichen Mittelmeeranrainer-Staaten.

Im Maghreb gibt es in außenpolitischer Hinsicht gegenwärtig keine Konfliktdynamik von überregionaler Bedeutung. Wechselseitige Wirtschaftsabkommen und die 1989 von den Staatschefs der fünf Staaten des Maghreb gegründete ,,Arabische Maghreb Union" (AMU) trugen zu diesem Konsolidierungsprozeß bei, obwohl die AMU dem Bekenntnis zu einer intensiven kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenarbeit kaum Taten folgen ließ. Fernziel bleibt jedoch die Schaffung eines gemeinsamen Marktes. Alle Staatsführungen haben strukturelle Anpassungsprogramme eingeleitet (Marokko 1983, Tunesien 1986, Libyen teilweise ab 1987, Algerien 1994), die zu einer Konvergenz der Wirtschafsordnungen in Nordafrika und zu einem Abbau ordnungspolitischer Disparität zur Europäischen Union führten.

Innenpolitisch zeigt sich ein anderes Bild. Alle Länder des Maghreb leiden - mit unterschiedlicher Gewichtung - unter erheblichen Strukturdefiziten. Gründe sind zu geringe landwirtschaftliche Nutzfläche, industrielle Unterentwicklung, periodenweise ideologisch motivierte Wirtschaftspolitik, autoritäre Regierungen und unterlassene frühzeitige Familienplanung. Die Folge sind hohe Arbeitslosigkeit, starke Inflation, zunehmende Radikalisierung der rasch wachsenden Bevölkerung bei gleichzeitig steigender Hinwendung zum politischen Islamismus.

Marokko zeichnet sich durch hohe Systemstabilität aus; sie beruht vor allem auf der starken politischen Position, die sich König Hassan II geschaffen hatte und die auch nicht durch die Thronfolge seines ältesten Sohnes gefährdet scheint, der im Juli1999 als Mohamed VI dritter König des seit 1956 unabhängigen Marokkos geworden ist. König Hassan II, der auch der religiöse Führer Marokkos war, hat es verstanden, potentielle Konflikte bereits im Keim durch politischen Dialog zu kanalisieren und die Islamisten einzubinden. Die Parlamentswahlen vorm 14. November 1997 können als ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Demokratisierung gewertet werden, auch wenn König Hassan II mit einer parallel zum Parlament neugeschaffenen zweiten Kammer, die indirekt durch Körperschaften und Verbände bestellt wird, seinen Einfluß zu erhalten gesucht hat.

Die marokkanische Außenpolitik ist durch eine sichtbare Verbindung zu den USA (Host Nation Support Abkommen seit 1982), die starke Europabindung und die auf Ausgleich bedachte Politik innerhalb der AMU geprägt. Hauptpartner Marokkos sind neben den Golfstaaten (Investoren) und den USA vor allem Frankreich, Spanien, Portugal und Deutschland. Zweitwichtigster Devisenbringer nach den Exporten und vor dem Tourismus sind die Transferleistungen der in diesen Ländern arbeitenden Marokkaner; etwa 1,5 Mio. Marokkaner leben in den Staaten der EU, hauptsächlich in Frankreich. Sicherheitspolitisch zeigen die gemeinsamen militärischen Übungen sowie Kontakte im Rüstungsbereich mit den USA, Frankreich, Spanien, Italien und Portugal eine enge Westbindung.

Ein an Bedeutung gewinnender Faktor der Instabilität ist nach wie vor die ungelöste Westsahara-Frage. Die ständige Sicherung und Überwachung der an Gold, Phosphat, Uran, Kupfer und Zinn reichen Region bindet einen Großteil der 190.000 Mann starken marokkanischen Streitkräfte, von denen 80 % der Landstreitkräfte im Grenzbereich der Westsahara disloziert sind.

In 2000 ist die Durchführung eines seit 1992 geplanten Referendums zur Unabhängigkeit der Westsahara vorgesehen, wofür ab Dezember 1997 mit der Erfassung der saharouischen Wähler begonnen wurde. Seit 1991 steht eine VN-Friedenstruppe MINURSO (UN Mission de la Naciones Unidas para el Referendum del Sahara Occidental) zur internationalen Überwachung und Unterstützung des Referendums in der Region, deren Mandat bis zum 31.07.2000 gültig ist und bis zum 21.10.2000 verlängert werden soll. Ihr Einsatz hat die militärische Lage insgesamt erheblich entspannt.

Der marokkanische Anspruch auf die beiden spanischen Enklaven Ceuta und Melilla, eine der ungelösten Fragen der nachkolonialen Zeit Nordafrikas, wurde im Gegenzug zum Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union durch Zuerkennung des Autonomiestatus abgeschwächt und wird gegenwärtig gemäß einer stillschweigenden Übereinkunft mit Spanien nicht thematisiert.

Algerien befindet sich im Gegensatz zu Marokko in einer tiefen Staatskrise. Sie ist das Ergebnis eines weitreichenden Versagens der regierenden Front de Liberation Nationale (FLN), die im Gefolge von Korruption und Klientelismus Nährboden für radikal-islamistische Kräfte schuf. Die Machtübernahme durch die Islamisten wurde durch das Verbot der Oppositionspartei Front Islamique du Salut (FIS) 1992 verhindert. Gleichzeitig begann der Untergrundkampf, der zwischenzeitlich im Kampf unterschiedlicher radikal-islamistischer Gruppierungen in blanken Terror eskalierte. Die algerische Wirtschaft kam 1993/94 nahezu zum Erliegen. Massenverelendung schuf den Nährboden für religiösen Fanatismus und soziale Unzufriedenheit. Auswanderungsdruck, insbesondere nach Frankreich, wo über 600.000 Algerier die größte nordafrikanische Bevölkerungsgruppe bilden, war die Folge.

Der ehemalige Staatspräsident und Verteidigungsminister Zeroual hat mit Beteiligung der legalen islamistischen  Partei Hamas als letzter Maghreb-Staat erst 1994 in Abstimmung mit dem IWF mit Maßnahmen zur Regeneration von Wirtschaft, sozialen Reformen und Anti-Terrorkampf langsam wachsende Akzeptanz in der Bevölkerung finden können. Sein im April 1999 gewählter Nachfolger Bouteflika hat sich neben dem mangelnden wirtschaftlichen Aufschwung und Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit vorrangig der inneren Sicherheitslage des Landes gewidmet. Mit der Einbeziehung gemäßigter Islamisten in den ,,nationalen Aussöhnungsprozess" hat er zwar einen ersten mutigen Schritt unternommen, den nach zehn Jahren Bürgerkrieg proklamierten Waffenstillstand in einen dauerhaften Frieden für Algerien umzusetzen, seine bisherigen Erfolge sind aber nur begrenzt.

Die Vielzahl der Anschläge und die Grausamkeit, mit der die radikalste Terrororganisation, “Groupe Islamique Armé“ (GIA) weiterhin vorgeht, reduziert und entkoppelt die Unterstützung der Bevölkerung für die Islamisten. Sie erhöht vielmehr das Schutzbedürfnis durch die Armee. die im Hintergrund weiterhin die Grundlinien der Politik bestimmt. Die rund 180.000 Mann Landstreitkräfte mit veralternder Ausrüstung ehemals sowjetischer Herkunft sind durch Ausgaben der inneren Sicherheit und Terrorismus-Bekämpfüng weitgehend gebunden. Die Luftstreitkräfte verfügen mit rund 20.000 Soldaten über 160 Kampfflugzeuge, die Marine mit über 7.000 Mann über 3 FK-Korvetten, 11 FK-Schnellboote und 2 U-Boote als Hauptwaffen-Systerne.

Der Algerien-Konflikt zeigt, dass Gewaltpotential nur gebunden werden kann, wenn wirtschaftliche Reformen die sozialen Notstände, die den Nährboden für Radikale vor allem bei Jugendlichen bilden, rasch lindern. Die Grundausrichtung algerischer Außenpolitik zu einer stärkeren Integration innerhalb des Maghreb und die Hinwendung zur Europäischen Union folgen diesem Ansatz.

Tunesien ist seit der Machtübernahme von Premierminister Ben Ah 1987 durch ein hohes Maß innerer Stabilität gekennzeichnet. Die Staatsführung verfügt über eine breite Unterstützungsbasis in allen Schichten der Bevölkerung. Die überragende Mehrheit der Bevölkerung identifiziert sich mit den Staatszielen Sicherheit, Stabilität, soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Mangelnde Rechtsstaatlichkeit und eingeschränkte politische und Informationsfreiheit werden dabei hingenommen. Die Staatsführung hat bei der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik sowie bei den Maßnahmen zur Eindämmung und Kontrolle islamistischer Gruppen sogar die erklärte Unterstützung von oppositionellen Kritikern.

Die tunesische Außenpolitik ist auf den Maghreb ausgerichtet und verfolgt einen regionalen Kooperationsaufbau als Voraussetzung einer weiter positiven innenpolitischen Entwicklung. Die Orientierung auf Europa, verbunden mit dem Streben nach einer verstärkten euro-mediterranen Kooperation resultierte im Assoziierungskommen mit der Europäischen Union. Wichtigste militär- und sicherheitspolitische Kooperationspartner sind Frankreich und die USA. Tunesien zeigt ein anhaltendes Interesse an internationaler Kooperation gegen den Terrorismus, seine Basen, seine Finanzierungsnetze und seinen Nachschub. Dazu wurden Vereinbarungen mit Ägypten, Algerien und Libyen unterzeichnet. Die Zusammenarbeit mit Regionalorganisationen steht dabei im Vordergrund.

Libyen unterscheidet sich hinsichtlich der Staatsform grundlegend von den anderen nordafrikanischen Ländern. Neben den von Gaddhafi eingerichteten Organen (“legislativen Basisvolkskonferenzen" und ,,Komitees") sind weder Parteien noch nicht-staatliche Organisationen zugelassen. Jedoch muß Gaddhafi auf tribale Einflußfaktoren und die Macht der Stämme und Familien Rücksicht nehmen.

Wegen der wirtschaftlichen Stagnation und sozialer Probleme (extrem hohe Geburtenrate (nahezu 6 Kinder pro Frau) macht sich in Libyen zunehmend Unzufriedenheit breit. Der große Anteil der Bevölkerung unter 15 Jahren (45 %) bietet mittelfristig idealen Nährboden für radikal-islamistische Gruppierungen. Bei einer Bevölkerung von nur 5,6 Mio. Einwohnern und erheblichen Deviseneinnahmen aus dem Energiesektor könnte Libyen die sozioökonomische Integrationsleistung leichter erbringen als die Nachbarländer, hat aber bisher gegenüber dieser Herausforderung versagt. Als einzige Opposition hat sich in Libyen seit 1989 eine zunehmend aktive militante islamistische Organisation herausgebildet, die mit terroristischen Aktionen in Erscheinung tritt. Oppositionelle Exilgruppen scheiden nicht zuletzt wegen ihrer Unterstützung durch die USA als wirksame Opposition oder Alternative gegen Gaddhafi aus.

Bis Ende der achtziger Jahre war die libysche Regierung unter Gaddhafi nachweisbar in terroristische Aktivitäten verwickelt, die auch der Destabilisierung der Nachbarländer dienten.

Seit wenigen Jahren ist aber ein Bemühen um mehr Kooperation erkennbar. Das Bombardement von Tripolis und Bengasi durch die USA am 15. April 1986 und die Niederlage libyscher Streitkräfte im Tschad im ersten Halbjahr 1987, begleitet vom drastischen Verfall der Ölpreise (Einnahmen 1980: 20 Mrd. US-$, 1986: 5,6 Mrd. US-$), haben zu einer spürbaren Kurskorrektur und einer gemäßigten Außenpolitik geführt. Die Regelung der bilateralen Beziehungen mit Marokko, Algerien und Tunesien und die grundsätzliche Verbesserung des Klimas zwischen den Ländern machte die Gründung der AMU am 17.02.1989 möglich. 1995 verstärkte Libyen die Sicherheits- und Anti-Terror-Kooperation mit Ägypten, Algerien, Tunesien und dem Sudan, der daraufhin libysche Islamisten auslieferte.

Die infolge des Terroranschlages auf die amerikanische Boeing 747 über Lockerbie (1988) durchgesetzten VN-Sanktionen sind seit Frühjahr 1999 ausgesetzt, allerdings noch nicht endgültig aufgehoben. In der Folge sind libysche Bemühungen zur Überwindung der Isolation erkennbar. Libyen ist als einziger Mittelmeerstaat vom Förderprogramm der Europäischen Union (Barcelona-Prozeß) ausgeschlossen.

Libyen hat mit 5,6 % des Bruttosozialprodukts die mit Abstand höchsten Militärausgaben aller Maghreb-Staaten. Libyen strebt weiterhin nach Massen-Vernichtungswaffen, insbesondere C-Waffen und ballistischen Trägersystemen. Neben den bereits vorhandenen Frog-7 und Scud B (bis 300 km Reichweite) wird an einer eigenen Rakete ,,Al Fatah" mit bis zu 500 km Reichweite gebaut. Die Verfügbarkeit von Massen-Vernichtungswaffen in Verknüpfung mit weiterreichenden Trägermitteln stellt ein erhebliches destabilisierendes Potential für den Mittelmeerraum insgesamt dar, einschließlich der südlichen NATO-Staaten. Auch konventionell bleibt Libyen mit etwa 1.700 Kampfpanzern, 2.500 Artilleriegeschützen und ca. 300 Kampfflugzeugen ein Faktor regionaler Instabilität, wenngleich es - auch wegen seiner geringen Truppenstärke von 63.500 aktiven Soldaten - nicht in der Lage ist, dieses Potential geschlossen einzusetzen. Als Folge der Sanktionen ist die Einsatzfähigkeit besonders der Luftstreitkräfte erheblich beeinträchtigt ist.

Der westliche Mittelmeer-Raum ist insgesamt trotz des schwelenden Konfliktes in Algerien und einer schwer berechenbaren Entwicklung Libyens zwischenstaatlich zunehmend stabil. Die weitgehende militärische Kräftebindung für interne Aufgaben der Machtstabilisierung sowie die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung mit den Ländern der europäischen Gegenküste machen dort gegenwärtig einen konventionellen Konflikt wenig wahrscheinlich. Die Gefahr, die von Massenvernichtungswaffen und weiterreichenden Trägermitteln ausgeht, bleibt bis auf weiteres bestimmend für Sicherheit und Stabilität der gesamten Region und bedeutet eine latente Bedrohung für die NATO-Südflanke.

Innerstaatlich sind das unkontrolliert hohe Bevölkerungswachstum und die Unfähigkeit  der Volkswirtschaften, ausreichend Beschäftigung und Einkommen zu bieten, inhärente Faktoren der lnstabilität die nicht nur eine Eskalationsdynamik gegenüber den nordafrikanischen Nachbarn, sondern auch gegenüber Europa entfalten können. Der algerische oder marokkanische Bevölkerungsanteil in Frankreich stellt eine Brücke für die Ausbreitung islamistischer Tendenzen in die Europäische Union dar.

Insbesondere sozio-ökonomische Probleme wie Arbeitslosigkeit fördern Migration oder Hinwendung zum politischen Islamismus. Radikal-islamistische Gruppierungen im Iran, aber auch in Saudi-Arabien versuchen mit finanzieller Hilfe den religiös-politischen Fanatismus zu stärken und zu organisieren. Frankreich, Belgien, Italien und Spanien verzeichnen eine zunehmende illegale Einwanderung aus dem Maghreb, die mit dem Schengener Abkommen auch für Deutschland aktuell geworden ist. Europäische Staaten werden von den Islamisten vorwiegend als Ruheraum und logistische Basis genutzt.

Bei der Exporttätigkeit dominiert der Süd-Nord-Warenverkehr. Die Verflechtung mit der Europäischen Union ist für die nordafrikanischen Staaten Marokko, Algerien und Libyen, die wichtigsten Erdöl- und Erdgasexporteure, mittelfristig nicht ersetzbar. Die Intensivierung der Zusammenarbeit dieser Länder mit über 70 Ölgesellschaften, die wachsende Zahl von Rohöl und Erdgas führenden Tiefseepipelines, die Südeuropa und Nordafrika verbinden, sowie die Erhöhung der Zahl von Verteilerpipelines verbessern die Produktionssicherheit und machen die Energieversorgung weniger anfällig für fundamentalistische Anschläge. Die damit verbundenen erhöhten Deviseneinnahmen können dazu beitragen, die sozio-ökonomischen Entwicklungsdefizite auszugleichen - adäquate Mittelverwendung vorausgesetzt. Dies ist sicherheitspolitisch bedeutsam.

Der östliche Teil des Mittelmeeres birgt mit seinen zwei strategischen Passagen, den Dardanellen und dem Suezkanal, der Krise auf dem Balkan, dem griechisch-türkischen Antagonismus in der Ägäis und auf Zypern sowie dem Nahost-Konflikt erheblich mehr Gefahren für die Stabilität des mediterranen Gesamtraumes. Insbesondere der Balkan-Konflikt hat gezeigt, wie ein ethnischer Regionalkonflikt überregionale sicherheitspolitische Auswirkungen und Betroffenheit erzeugt, destabilisierend auf Nachbarregionen ausstrahlt und militärisches Eingreifen erfordert.

In keinem Land dieser Region - mit Ausnahme Israels - ist es bisher gelungen, den Übergang von der traditionellen Agrar- zu einer entwicklungsfähigen Industriegesellschaft zu finden. Ein hohes Bevölkerungswachstum, unzureichende Selbstversorgung allein bei Nahrungsmitteln, das Fehlen konkurrenzfähiger Industrien, mangelnde technologische Infrastruktur, hohe Arbeitslosigkeit und Auslandsverschuldung sowie starke staatliche Einflußnahme auf die Wirtschaft prägen die Länder. Die Macht in der Hand von wenigen Führern und Eliten, ineffiziente Verwaltung und mangelnde Einbindung der Bevölkerung in demokratische Prozesse kennzeichnen die politische Situation. Fundamentalistische Bewegungen, die nicht nur eine wirtschaftliche, politische und moralische Erneuerung in Aussicht stellen, sondern auch das starke emotionale Bedürfnis nach kultureller Identität befriedigen, finden hier ihre Basis.

Stabilität und Sicherheit in dieser Region werden nicht mehr durch das Grundmuster der arabisch-israelischen Konfrontation dominiert. Die Gefahr, daß sich der israelisch-arabische Gegensatz in einem bewaffneten zwischenstaatlichen Konflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn entladen könnte, ist signifikant verringert.

Durch den laufenden Nahost-Friedensprozeß hat sich der arabisch-israelische Gegensatz weitgehend auf seinen israelisch-palästinensischen Konfliktkern reduziert, wobei die Aspekte der inneren Sicherheit in den Vordergrund getreten sind. Gleichzeitig erodierte der Zusammenhalt der ehemaligen Frontstaaten. Dem schon 1979 mit Ägypten geschlossenen Friedensvertrag schloß sich von den früheren Kriegsgegnern bisher nur Jordanien an (26. Oktober 1996). Mit Ausnahme Syriens haben sich die Nachbarstaaten mit Israel arrangiert oder kooperieren sogar in gemeinsamen Sicherheitsfragen, wie der Terrorismus-Abwehr. Der Abzug israelischer Truppen aus dem Süd-Libanon im Juni 2000 erfolgte ohne nennenswerte Zwischenfälle und hat das israelisch-syrische Verhältnis um ein wesentliches Krisen-Potential verringert.

Ein militärischer Konflikt mit Israel erscheint auf absehbare Zeit unwahrscheinlich. Die Dislozierung der VN-Verbände UNIFIL im Süd-Libanon (United Nations Interim Force In Libanon), UNDOF auf dem Golan (United Nations Disengagement Observer Force) und der MFO auf dem Sinai (Multinational Forces and Observers) machen zudem einen Überraschungsangriff auf Israel mit Landstreitkräften unmöglich. Aus militärstrategischer Sicht hat sich damit die Bedrohung Israels von einer territorialen Bedrohung durch Land- und Luft-Streitkräfte einer arabischen Kriegsallianz auf die Bedrohung durch die politische und militärische Unberechenbarkeit des Irak sowie den Einsatz ballistischer Raketen verlagert. Insgesamt ist das israelische militärische Potential seinen Nachbarstaaten vor allem in qualitativer Hinsicht so überlegen, daß sich eine militärisch existentielle Bedrohung für Israel selbst unter einem ,,worst-case" Szenario nicht ableiten läßt. Vier aus dem ursprünglichen arabisch-israelischen Konflikt resultierende Spannungsherde bestimmen die Situation im Nahost-Friedensprozeß:

  • Die Souveränitätsfrage über Jerusalem
  • Die Autonomieregelungen der Palästinenser und die Rückführung der Palästinenser vor dem Hintergrund israelischer Siedlungspolitik
  • Die israelische Truppenrückverlegung vom Golan

Die im Wye-River-Memorandum (23. Oktober 1998) beschlossenen Vereinbarungen mit den Palästinensern wurden aufgrund der anschließenden Regierungskrise in Israel nur zu einem geringen Teil umgesetzt. Mit der Unterzeichnung des Wye-2-Abkomrnens (4. September 1999) hatte vor allem der neue israelische Ministerpräsident Barak seine Absicht, den zwischen den Forderungen der Palästinenser nach Siedlungsstopp und der längst fälligen Übergabe weiterer Gebiete sowie dem Verlangen der Israelis nach mehr Sicherheitszusagen und Engagement im Kampf gegen den Terrorismus stagnierenden Nahost-Friedensprozeß neu zu beleben, in die Tat umgesetzt. Darüber hinaus hatten sich beide Seiten im November 99 in Oslo darauf verständigt, die Verhandlungen über den endgültigen Status der palästinensischen Gebiete unverzüglich aufzunehmen mit dem ehrgeizigen Ziel, bis Februar 2000 ein entsprechendes Rahmenabkommen und bis September 2000 einen umfassenden Vertrag zu unterzeichnen.

Dieser enge Zeitrahmen konnte allerdings bis heute nicht realisiert werden. Im Juli 2000 ringen Barak und Arafat in Camp David in einem neuen, im wesentlichen vom amerikanischen Präsidenten Clinton initiierten Nahost-Gipfel um einen endgültigen Durchbruch in den Friedensverhandlungen. Doch insbesondere die Jerusalem-Frage könnte auch diesen - wohl vorerst letzten - Versuch zum Scheitern verurteilen, zumal dem israelischen Ministerpräsidenten im Zuge dieser neuen Verhandlungen seine Koalitionsmehrheit in der Knesset weggebrochen ist. Die Ermächtigung Arafats zur Proklamation eines souveränen Palästina im September 2000 durch den Palästinenser-Rat könnte im Falle eines endgültigen Abbruchs der Friedensgespräche zu einem Wiederaufflammen der Gewalt, zu einer neuen Intifada, führen.

Mit der Wiederaufnahme der israelisch-syrischen Verhandlungen am 15. Dezember 1999 in Washington schien der Nahost-Friedensprozess in die entscheidende Phase zu treten. Durch die Behandlung sowohl der Golan- als auch der Süd-Libanonfrage wurden erstmals alle noch offenen Punkte des Friedensprozesses behandelt. Doch nach Hoffnung weckendem Beginn sind diese Gespräche nach dem Treffen Clintons mit dem inzwischen verstorbenen syrischen Staatspräsidenten Hafis el Assad in Genf am 26.03.00 vorerst ergebnislos abgebrochen worden. Der Nachfolger und Sohn Assads, Bashar el Assad, hat in seiner ersten politischen Rede vor dem Parlament im Juli 2000 deutlich gemacht, dass er von der roten Linie seines Vaters bezüglich des Verhältnisses zu Israel, der unbedingten Forderung nach einem israelischen Truppenrückzug auf die Grenzlinien von 1967, nicht abzurücken gedenkt. Eine Wiederaufnahme der israelisch-syrischen Friedensverhandlungen erscheint vor diesem Hintergrund derzeit unwahrscheinlich, zumal Barak sich zur Zeit auf eine Regelung mit den Palästinensern konzentriert.

Ägypten besitzt aufgrund seiner geostrategischen Lage Brückenfunktionen zwischen Nordafrika und dem Nahen Osten und ist einer der Schlüsselstaaten für den Nahost-Friedensprozess. Seine politische und wirtschaftliche Stabilität ist für Europa wie die USA von strategischem Interesse: Durch den wachsenden Asienhandel europäischer Volkswirtschaften und den zunehmenden Warenverkehr durch den Suez-Kanal nimmt die Bedeutung Ägyptens für Europa ständig zu.

Innenpolitisch geht das mit 67 Millionen Menschen bevölkerungsreichste Land im arabischen Raum - angesiedelt auf nur 4 % der Staatsfläche (Nil-Regionen) - seit der Ermordung Saddats 1981 einen schweren Weg. Seit 1995 verfolgt Mubarak den von der IWF vorgeschlagenen Weg wirtschaftlicher Erneuerung. Die Beseitigung der Folgen des ,,arabischen Sozialismus“ hat allerdings zu einer weit geöffneten Wohlstandsschere geführt. Diese ist gekennzeichnet durch eine kleine, alle Bereiche der Wirtschaft beherrschende Oberschicht, über 20 % Arbeitslosigkeit und ein Durchschnittseinkommen der Masse der Bevölkerung von unter 1.000 US-$ pro Jahr. Aufgrund dieser Bedingungen hat auch in Ägypten der politische Islamismus Fuß gefaßt, der durch die Regierung massiv und mit zunehmendem Erfolg bekämpft wird. Obwohl seit 1981 ohne Unterbrechung der Ausnahmezustand herrscht, wird das Land seit 15 Jahren in unregelmäßigen Abständen von Terroranschlägen diverser militant-islamistischer Gruppierungen (wie Al-Djihad und der Djamaá al Jslamya) erschüttert.

Die ägyptische Außenpolitik hatte traditionell drei Dimensionen - eine arabische, eine islamische und eine afrikanische. Saddat hat sie im Zuge der ägyptisch-israelischen Versöhnung und des Engagements im arabisch-israelischen Friedensprozeß um eine vierte - eine westliche, auf die Vereinigten Staaten ausgerichtete - Dimension ergänzt. Die ägyptische Diplomatie betreibt eine aktive Stabilitätspolitik. Sie fördert die Friedensbereitschaft des arabischen Lagers und die arabischen Interessen am Friedensprozeß und tritt aktiv für den Fortgang der Friedensbemühungen ein. Nach 10 Jahren der Isolierung im arabischen Lager wurde 1990 mit der Neuaufnahme Ägyptens in die Arabische Liga seine Führungsrolle in der Region - auch institutionell - wieder anerkannt.

Mit etwa 430.000 Soldaten, 3.400 Kampfpanzern und über 500 Kampfflugzeugen sind die ägyptischen Streitkräfte mit Abstand die stärkste Militärmacht Nordafrikas. Die internationale Manöverserie ,,Bright Star", die zuletzt im Oktober 1999 ca. 70.000 Soldaten aus den USA, Frankreich, Großbritannien, Italien, Griechenland, Niederlande, Kuwait, Jordanien, Vereinigten Arabischen Emiraten und erstmals auch aus Deutschland mit ägyptischen Truppen zusammenführte, unterstreicht die strategische Bedeutung Ägyptens und seine integrative Rolle in der Region.

Jordanien hat als Konsequenz aus dem Friedensvertrag mit Israel seine Streitkräfte auf 79.000 Mann reduziert; die verbleibenden 1.250 Kampfpanzer und etwa 110 Kampfflugzeuge veralten zunehmend. Die Annäherung an Israel ist im Lande jedoch nicht unumstritten. Neben der Unzufriedenheit mit innenpolitischen Entwicklungen war sie der Anlaß für die Islamische Aktionsfront, die Parlamentswahlen des 4. November 1997 zu boykottieren. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage, die sich aus dem großen Bevölkerungswachstum (mehr als 5 Kinder/Frau) und dem Fehlen eigener Öl-, Gas-Vorkommen sowie ständiger Wasserknappheit ergibt, ist es König Hussein gelungen, ein erstaunliches Maß an Stabilität zu erhalten - dies trotz eines über 60%-igen palästinensischen Bevölkerungsanteils. Die ehemals fundamentalistische Islamische Aktionsfront genießt seit 1989 offizielle Anerkennung. Ihre frühzeitige Einbindung bei den ersten freien Wahlen 1989 beugte bisher einer Radikalisierung vor. Die Systemstabilität hat sich nach dem Tode König Husseins in der reibungslosen Nachfolge durch seinen ältesten Sohn Abdullah gezeigt.

Syrien hält im offiziellen Sprachgebrauch weiterhin die militärische Option gegenüber Israel offen. Rund 3.600 Kampfpanzer, 2.500 Artilleriegeschütze und ca. 600 Kampfflugzeuge bedeuten ein quantitatives Verhältnis von rund 1:1 zu den israelischen Großwaffensystemen; bei der Truppenstärke beträgt das Verhältnis sogar 380.000 zu 185.000.

Das meist aus sowjetischer Zeit stammende Großgerät ist jedoch qualitativ den modernen israelischen Waffensystemen weit unterlegen und läßt einen syrischen konventionellen Alleingang äußerst unwahrscheinlich erscheinen. Darüber hinaus ist Syrien im Besitz von C-Waffen und verfügt über mehrere hundert Raketen kurzer und mittlerer Reichweiten (bis etwa 500 Kilometer).

Die Rückgewinnung der Golan-Höhen bleibt auch für den neuen Präsidenten Bashar el Assad ein strategisches Ziel. Außer militärischen Sicherheitsfragen sind damit auch Wasserzugangs- und Verteilungsprobleme mit Israel berührt. Längerfristig ist die Golan-Frage nur durch einen politischen Kompromiß zwischen Israel und Syrien und entsprechende völkerrechtliche Regelungen und Garantien zu lösen. Dieser bedingt die Wiederaufnahme syrisch-israelischer Friedensverhandlungen, die allerdings auf absehbare Zeit nicht stattfinden wird.

Libanon hat mit dem Abkommen von Taif 1989 Syrien eine Art ,,Schutzmacht-Funktion zur Herstellung staatlicher Ordnung eingeräumt, in dessen Folge ein mittlerweile auf 30.000 Mann reduziertes syrisches Truppenkontingent im Libanon stationiert worden ist.

Das Hauptanliegen des Libanon im Nahost-Friedensprozeß, die Beseitigung der völkerrechtswidrigen israelischen Besetzung des Süd-Libanon (ca. 10 % des libanesischen Staatsgebietes) auf der Grundlage von VN-Resolution Nr.425 aus dem ,Jahre 1978, ist inzwischen auf Beschluss der Knesset durch den einseitigen israelischen Truppenabzug erfüllt worden. Positiv anzumerken ist, dass die befürchteten Unruhen im Süd-Libanon nach diesem Truppenabzug ausgeblieben sind. Die Aufstockung der VN-Mission UNIFIL könnte auch künftig dafür sorgen, dass dieses Gebiet befriedet bleibt, zumal die Hisbollah ihr strategisches Ziel, die Befreiung des Süd-Libanon von den israelischen Besetzern, erreicht hat

Die loyalen, im wesentlichen aus Landstreitkräften bestehenden libanesischen Streitkräfte (63.000 Mann) leisten einen bedeutenden ergänzenden Beitrag zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und damit zum Wiederaufbau des Landes. Zur Übernahme der Kontrolle im Süden des Landes und zur Entwaffnung und Auflösung der von Israel unterstützten süd-libanesischen Armee und der Hisbollah werden sie in absehbarer Zeit jedoch nicht in der Lage sein. Der Verbleib der VN-Mission im Süd-Libanon wird daher langfristig notwendig bleiben.

Neben den zwischenstaatlichen Rivalitäten und Spannungen muß die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen und ballistischen Raketenpotentialen als die bedeutendste Herausforderung für die Sicherheit und Stabilität im östlichen Mittelmeer gewertet werden. Dies gilt nicht nur für die Region selbst, sondern über sie hinaus. Irak und Iran sind hierbei die Hauptfaktoren, die bei ihren Beschaffungs- und Entwicklungs-Bemühungen von außen unterstützt werden, vor allem von China und Nordkorea. Die amerikanisch-chinesischen Vereinbarungen lassen allerdings erwarten, daß sich zumindest China aus dem Export von solchen Gütern zurückzieht, die für die Herstellung von Massenvernichtungsmitteln und Raketen benötigt werden.

Der Irak hält trotz der VN-Sanktionen und dem Fortbestand der Flugverbotszonen auch nach der Operation „Wüstenfuchs“ unverändert am strategischen Ziel einer Vormachtstellung in der Region fest. Er strebt die militärische und politische Führungsrolle im Nahen und Mittleren Osten an und setzt seine Bemühungen fort, konventionell sowie im Bereich der Massenvernichtungswaffen und Trägersysteme wieder aufzurüsten. Die Unberechenbarkeit Saddam Husseins und seiner die Staatengemeinschaft provozierenden Außenpolitik machen den Irak zu einem erheblichen Faktor der Instabilität und ohne internationales Kontrollregime zu einer rasch wachsenden Bedrohung in der Region. Nur die Entfernung Saddam Husseins von der Macht und der Übergang zu einer sowohl die internationalen als auch die Rechte des eigenen Volkes achtenden Regierung kann die Situation grundlegend verändern. Das derzeit unveränderte Vormachtstreben des Irak steht jedoch im Schatten der Entwicklung Irans.

Iran ist wegen seiner territorialen Größe, seiner militärischen Stärke und strategischen Tiefe, seiner reichen Rohstoffvorkommen und seiner großen Bevölkerung traditionell ein herausgehobener Machtfaktor der Region. Durch seine beherrschende Lage am Persischen Golf und der Straße von Hormuz verfügt der Iran über strategische Einflußmöglichkeiten auf die für die westliche Welt wichtigste Öltransport-Route.

Hauptziele iranischer Politik sind der Machterhalt der islamischen Regierung, das Zurückdrängen westlichen Einflusses im Mittleren Osten und die Verbreitung des Islamismus. Das schiitisch-theokratische Staatsverständnis und der historisch abgeleitete persische Führungsanspruch werden jedoch von nahezu allen Anrainerstaaten als dauernder Spannungs- und Bedrohungsfaktor empfunden und begründet eine allgemeine Ablehnung Irans im arabischen Lager, die sich seit dem Wechsel auf Präsident Khatami allerdings im Wandel befindet.

Iran versucht sich mit Saudi-Arabien zu arrangieren und strebt die Errichtung einer regionalen Sicherheitsordnung unter seiner Führung an. Als größte Hindernisse für das Erreichen seiner regionalen Vormachtstellung, wenn nicht gar als Bedrohung, betrachtet Iran die USA, Israel und den Irak. Dies erklärt die Unterstützung der VN-Resolutionen gegen den Irak, weil so der Machtkonkurrent geschwächt und gleichzeitig eine Wiederannäherung des Irak an die arabischen Staaten der Region verhindert wird. Die Beziehungen Irans zu Syrien stellen ein gegen Irak und Israel gerichtetes Zweckbündnis dar. Die ehemals nahezu weltweite Unterstützung des iranischen Regimes für islamistische Aktivisten ist drastisch zurückgegangen und beschränkt sich erkennbar nur noch auf die Hisbollah und Jihad Islami im Libanon.

Neben dem großen konventionellen Militärpotential trägt besonders das iranische Entwicklungs-/Beschaffungsprogramm für Massenvernichtungswaffen und weitreichende Trägersysteme zur Destabilisierung der Region bei. Durch umfassende Bemühungen zur Entwicklung weitreichender Trägerraketen (NO DONG, SHAHAB - Reichweiten bis 2000 km) schafft sich der Iran ein zunehmendes Bedrohungspotential gegenüber Israel sowie der Süd-Flanke der NATO. Eine direkte militärische Bedrohung leitet sich daraus für die Türkei aber nicht ab, weil der Wille zur Zusammenarbeit, vor allem mit Blick auf die Kurdenproblematik und auf die Energieversorgung, mögliche machtpolitische Ambitionen überlagert und verdrängt.

Der Wechsel von Präsident Rafsandjani auf Präsident Khatami wurde von einer überwältigenden Mehrheit getragen und hat damit zugleich ausgedrückt, daß es zu Veränderungen im politischen Kurs des Landes kommen soll. Khatami ist jedoch nicht frei bei der Festlegung eines geänderten politischen Kurses; er ist vielmehr eingebunden in ein schwieriges Geflecht aus den religiösen Eliten einerseits und ihn unterstützende, moderate politische Kräfte andererseits. Trotz aller gebotenen Wachsamkeit gegenüber der strategischen Entwicklung des Iran benötigt die weitere Entwicklung Zeit - dies insbesondere vor dem Hintergrund, daß über 50 % der Bevölkerung jünger als 20 Jahre ist und gerade diese junge Generation eine andere politische Orientierung hat und will. Iran befindet sich daher gegenwärtig in einem Spannungsfeld von religiösem und Generationen-Konflikt, das sich nur allmählich zugunsten der einen oder anderen Richtung auflösen wird.

Die Stabilitätsrisiken in Nordafrika und im Nahen Osten treten zunehmend in den Vordergrund der Interessenlage und sicherheitspolitischen Ansätze der nördlichen Mittelmeer-Anrainer und wichtiger Bündnispartner.

Auch für die USA hat der Mittelmeerraum hohe strategische Bedeutung. Die rund 100.000 US-Soldaten in Europa, deren Einsatzspektrum auch Krisenreaktionseinsätze in potentiellen Krisenregionen in Afrika und Nah-/Mittelost einschließt, und die fortgesetzte Präsenz der US-Seestreitkräfte im Mittelmeer verdeutlichen das Interesse an der Region. Der ungehinderte Zugang zu Seewegen hat besondere Bedeutung. Der Mittelmeerraum ist für die USA darüber hinaus ein wichtiger geographischer Raum, um im Rahmen der ,,US-National Military Strategy" Kräfte zur Bewältigung eines potentiellen Konfliktes im Persischen Golf zur militärischen Machtprojektion bereitzustellen.

Das militärstrategische Engagement der USA in der Region untermauert den amerikanischen Führungsanspruch in der NATO und seine regional ausgerichtete Machtprojektion. Das Verhältnis der USA zu einzelnen Ländern des Mittelmeerraums wird dabei vornehmlich geprägt durch sicherheitspolitische Zielsetzungen mit Blick auf die Förderung regionaler Stabilität und die Verhinderung regionaler Konflikte, die Begrenzung der Proliferations-Gefahren für NATO-Territorium und NATO/US-Streitkräfte sowie grundsätzlich den Schutz der nationalen Interessen in der Region.

Zu den nordafrikanischen Staaten, mit Ausnahme von Libyen, das von den USA als feindlicher Staat eingestuft ist, unterhalten die USA freundliche bis neutrale Beziehungen. Im Mittelpunkt des amerikanischen Interesses steht die Verringerung des libyschen und iranischen Einflusses in Afrika auf den internationalen Terrorismus, die Entwicklung und Weiterverbreitung von Massen-Vernichtungswaffen sowie die Eindämmung des Drogenhandels. Für den Nahen Osten werden die USA weiterhin jede Mühe unternehmen, einen dauerhaften und umfassenden Friedensvertrag zu erreichen. Es liegt im besonderen Interesse der USA, Sicherheit und Unversehrtheit Israels zu gewährleisten, befreundeten arabischen Staaten Sicherheitshilfe zu geben, den ungehinderten Zugang zu den Öl-Ressourcen sicherzustellen und die Transportwege offenzuhalten.

Die größte Herausforderung für die Sicherheit Europas und die Funktionsfähigkeit der NATO im Mittelmeerraum existiert langfristig aus amerikanischer Sicht in Südosteuropa. Unmittelbares amerikanisches Ziel ist es auch hier, die Region durch Minderung der griechisch-türkischen Spannungen und ein umfassendes Abkommen zu Zypern zu stabilisieren. Die USA messen der Türkei aufgrund der geographischen Lage zum Kaukasus und zur Levante am Schnittpunkt von drei Kontinenten herausragende strategische Bedeutung zu, was das Interesse an einer festen Verankerung der Türkei in den euro-atlantischen Strukturen begründet. Störfaktoren im US-türkischen Verhältnis sind die mögliche Islamisierung in Politik und Militär, die unzureichende Bereitschaft der Türkei, die Kurdenproblematik anders als nur mit militärischen Mitteln zu lösen, türkisch-syrische Auseinandersetzungen um das GAP-Wasserprojekt, die Kooperation der Türkei mit dem Irak auf ,,Case to Case"-Basis und das Erdgasabkommen mit Iran. Trotz dieser Störfaktoren sehen die USA die Türkei aber als verläßlichen Partner an, der seine Unterstützung im Golfkrieg, in Bosnien und grundsätzlich bei der Eindämmung des Irak (Northern Watch) unter Beweis gestellt hat und den globalen strategischen Ansatz durch Akzeptanz amerikanischer Mittel (einschließlich Nuklear-Waffen) unterstützt.

Für GrossBritannien bündelt sich in der Mittelmeer-Region, insbesondere im östlichen Teil, das bedeutendste Potential schwerwiegender Krisen und Konflikte mit direkter Auswirkung auf britische nationale Interessen sowie im Rahmen seines Führungs- und Verantwortungsanspruches in VN, NATO und EU. Entsprechend dieser Interessenlage werden militärische Kräfte für Operationen der Krisen- und Konfliktbewältigung vorgehalten.

Die politisch-strategische Bewertung und das politische Handeln scheinen hier weniger dem Gesamtraum, als vielmehr individuell den regionalen Krisenzentren zu gelten; eine nationale britische Gesamtstrategie für die Mittelmeerregion ist nicht zu erkennen. In der NATO und WEU verfolgt London die Versuche südlicher Mitgliedsländer, einen Dialog mit den südlichen Mittelmeer-Anrainer-Staaten aufzubauen, mit eher geringem Interesse. Für die vielfachen konkreten Risikoszenarien, insbesondere im östlichen Mittelmeerraum, wird die NATO als entscheidender Handlungsrahmen zu Krisenprävention, Krisenmanagement und Abwehr direkter Aggression gesehen.

Angesichts dieser Bewertung und Interessenlage hat Großbritannien zur Stärkung seines Einflusses in der NATO-Süd-Region eine deutlich stärkere Repräsentanz in Führungsstellen der neuen NATO-Kommandostruktur im Mittelmeer-Raum angestrebt. Überlegungen über die Aufstellung eines zweiten Allied Rapid Reaction Corps (ARRC) in der Südregion mit britischer Beteiligung weisen auf die Absicht hin, sich in diesem Raum künftig auch planerisch mit entsprechenden Truppen-Kontingenten stärker engagieren zu wollen - selbst wenn diese Überlegungen zur Zeit nicht unbedingt aktiv verfolgt werden.

Spanien sieht die Mittelmeerregion zunehmend als Spannungsfeld auch für die Allianz. Das wachsende Unruhepotential hat durch die geographische Nähe für Spanien herausgehobene Bedeutung. Die prinzipiellen marokkanischen Ansprüche auf die Enklaven Ceuta und Melilla, das Westsahara-Problem und insbesondere sozio-ökonomische Probleme, die zu Instabilitäten in Marokko und Algerien  (politische Umstürze und Immigration) führen können, prägen diese Einschätzung.

Vorrangiges spanisches Ziel ist eine kooperative Gestaltung der Beziehungen der Mittelmeer-Anrainer, insbesondere die politische und wirtschaftliche Stabilität der Maghreb-Staaten. Die herausragende Rolle Spaniens bei der Durchführung der EU-Mittelmeer-Konferenz 1995 sowie bei der Erarbeitung der Mittelmeer-Initiativen von NATO und WEU reflektiert diese Interessen. Seine Mitgliedschaft in der WEU und in der NATO sowie die besondere militärische Zusammenarbeit mit Frankreich und Italien im Rahmen EUROFOR und EUROMARFOR sind für Spanien die entscheidenden politisch-militärischen Instrumente, um nationale Sicherheit gegenüber den Risiken der Region zu gewährleisten.

Frankreich sieht nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation seine Sicherheitsinteressen in der Mittelmeer-Region vor allem durch interne Entwicklungen im Krisenbogen vom Maghreb bis nach Vorder- und Mittelasien, aber auch in transnationalen Herausforderungen wie der Proliferation von Massen-Vernichtungswaffen, religiiösem Extremismus und Terrorismus berührt und gefährdet. Die Aufmerksamkeit gilt gleichermaßen der Krisenregion im nördlichen Afrika wie dem Nahen Osten. Insbesondere die Entwicklung in Algerien wird von 1,5 Mio. legal in Frankreich lebenden Algeriern und Marokkanern mit wachsender Betroffenheit verfolgt. Die französische Politik gegenüber der Mittelmeerregion insgesamt zeigt bislang wenig Kontur.

Frankreichs multilaterale (EUROFOR, EUROMARFOR) und bilaterale Aktivitäten - in den Kontext einer Stärkung der europäischen Verteidigungskomponente gestellt - stärken vor allem das politische Profil Frankreichs in der Region, sichern aber auch zugleich die französischen Handlungsoptionen im Mittelmeer-Raum. Die französische Haltung zur Besetzung des Regionalkommandos AFSOUTH spiegelt diesen Ansatz wider.

Italien sieht den Mittelmeer-Raum nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, nicht zuletzt wegen der ethnischen, religiösen und sozialen Spannungen an der Gegenküste, in den Mittelpunkt der Sicherheitsvorsorge von NATO und Europäischer Union gerückt. Krisen und lokale Konflikte im Maghreb, Nahen Osten oder auf dem Balkan werden wegen der zentralen geographischen Lage und der langen Küstenlinie der Halbinsel als unmittelbar sicherheitsrelevant beurteilt. Von Nordafrika, Albanien und dem ehemaligen Jugoslawien sieht man sich starkem Migrationsdruck ausgesetzt; über 1,5 Mio. illegale Einwanderer befinden sich bereits in Italien. Die italienische Regierung beansprucht daher eine führende politische Rolle bei der Ausgestaltung der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Rahmen von NATO und WEU. Italien hat sich konsequent für eine stärkere sicherheitspolitische Berücksichtigung des Mittelmeerraumes durch NATO und WEU eingesetzt (EUROFOR, EUROMARFOR) und sieht sich als privilegierter Gesprächspartner der Regierungen der Region und Sachwalter ihrer Interessen innerhalb der EU, ohne daß sich dies bisher allerdings in größeren Initiativen niedergeschlagen hätte. Im Nahen Osten hat Italien wiederholt versucht, eine aktive Rolle zu spielen.

Wegen der direkten Nachbarschaft zur Balkan-Krisenregion, insbesondere zu Albanien mit seiner labilen staatlichen und ökonomischen Struktur fühlt sich Italien herausgefordert (Initiative für multinationales Engagement in Albanien, z.B. im Rahmen des Multinational Advisory Police Element - MAPE und der Communication Zone West von KFOR), stabilisierend Einfluß zu nehmen. Zugleich erwartet Italien, daß überregionale Gremien (VN-Sicherheitsrat, Kontaktgruppe, Quad) nur mit direkter Beteiligung Roms politische Beschlüsse zu Krisenentwicklungen auf dem Balkan fassen.

In diesem Kontext wird deutlich, daß die Lage auf dem Balkan und die Stabilität der Gesamtregion nicht nur durch die Entwicklungen im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina beeinflußt wird, sondern darüber hinaus von einem Spannungsgeflecht kritischer Entwicklungen geprägt ist, das von ungeklärten Einzelfragen, z.B. zur Prevlaka-Halbinsel, über die Situation in Albanien und Mazedonien bis zur Lage innerhalb der BR Jugoslawien als Ganzes reicht. Dies bedeutet, daß die internationalen Anstrengungen zur Stabilisierung des Balkans das Gesamtbild der Region reflektieren müssen. Darüber hinaus gilt es, politische, militärische. wirtschaftliche und sonstige Aspekte gemeinsam zu berücksichtigen. Mit dem „Stabilitätspakt für Südosteuropa“ wird versucht, diesem umfassenden Ansatz Rechnung zu tragen.

Griechenlands Außen- und Sicherheitspolitik ist regionalpolitisch durch das Verhältnis zu den unmittelbaren Nachbarn geprägt. Insbesondere der politische Gegensatz zur Türkei (Streit um Hoheitsrechte in der Ägäis, Zypern-Problem) bestimmt die griechischen Interessen hinsichtlich des Mittelmeerraums. Darauf ist auch das operative Verteidigungskonzept Griechenlands ausgerichtet. Daneben haben die Griechen ihre Mitgliedschaft in der NATO und der Europäischen Union immer auch zur Thematisierung griechisch-türkischer Streitfragen genutzt und die Mechanismen beider Organisationen zur Sicherung und Durchsetzung ihrer nationalen Interessen instrumentalisiert. Griechenlands Interesse, EUROFOR und EUROMARFOR für die Sicherheit im Mittelmeerraum zu nutzen sowie sein Wunsch, an diesen multinationalen Großverbänden beteiligt zu werden, erklären sich nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des griechisch-türkischen Konfliktes.

Während die griechischen Luft- und Seestreitkräfte vorrangig auf die Sicherung der Luft-und See-Hoheit sowie den Schutz der griechischen Inseln in der Ägäis ausgerichtet sind, haben die Landstreitkräfte vor allem den Auftrag, die Inseln sowie das west-thrakische und mazedonische Festland zu verteidigen. Die griechischen Streitkräfte stehen in einem Prozeß umfassender Modernisierung (unter anderem Kampfflugzeuge, bodengestützte Luftverteidigung, Panzer, U-Boote, Luftkissenboote). Das umfangreiche Rüstungsbeschaffungs-Programm über einen Zeitraum von 10 Jahren sieht jährliche Ausgaben von mehr als 2 Milliarden DM vor. Die griechischen Streitkräfte sind den türkischen sowohl in Personalstärke (168.000 Mann gegenüber 640.000 Mann) als auch bei den Hauptwaffen-Systemen (Ausnahme Jagdflugzeuge und Angriffs-Hubschrauber) quantitativ unterlegen. Das Restrukturierungs-Programm Griechenlands für die Streitkräfte dient daher vor allem der Herstellung eines militärischen Gleichgewichts und der Erhöhung der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit gegenüber der Türkei in qualitativer Hinsicht. Darüber hinaus trägt es zur Stärkung der Glaubwürdigkeit der griechischen Beistandsverpflichtungen bei, die sich aus dem Verteidigungsabkommen mit Zypern ergeben (in den ,,Einheitlichen hellenistischen Verteidigungsraum" wird seit 1993 auch Zypern mit eingeschlossen).

Die Türkei ist in geostrategischer Hinsicht ins Zentrum des Krisendreiecks Balkan, Kaukasus und Nah-Mittel-Ost gerückt. In all diesen Regionen hat die Türkei Interessen und übt sie Einfluß aus. Die strategische Bedeutung der Türkei wird wesentlich durch ihren Status als NATO-Flankenstaat an der durch besondere Instabilitäten gefährdeten südöstlichen Peripherie des Bündnisses bestimmt (iranisch-islamistisch/irakische Hegemonialbestrebungen, islamischer Fundamentalismus, umfassende Proliferationsrisiken).

Ohne konstruktive Mitwirkung der Türkei scheint eine Reihe auch für Europa wichtiger Probleme, die erhebliches Konfliktpotential besitzen, nicht lösbar. Dies gilt für das Kurdenproblem, einschließlich der Zukunft des Nordiraks, die Wasserfrage im Euphrat-Tigrisbecken, die Zypern-Frage und die griechisch-türkischen Spannungen in der Ägäis. Darüber hinaus besitzt die Türkei ebenso Einfluß auf die Regelungen der offenen/latenten Konflikte im Kaukasus-Raum, die Nutzung der kaspischen und zentralasiatischen Energie-Vorräte sowie die Zukunft der neuen unabhängigen Staaten in Zentralasien.

Die Streitkräfte der Türkei gliedern sich in ein infanterie-starkes Heer, taktische Luftstreitkräfte sowie Seestreitkräfte, die vor allem zu Operationen in küstennahen Gewässern und Randmeeren befähigt sind. Reduzierungsplanungen wurden wegen des Dauerkonflikts mit Griechenland und des Kurden-Konflikts bisher nicht umgesetzt. Bewaffnung und Ausrüstung der türkischen Streitkräfte werden mit großem finanziellen Aufwand modernisiert. Das umfassende Modernisierungs-Programm (unter anderem Hubschrauber Panzer, Transportflugzeuge, Fregatten, U-Boote) wird mit der geostrategischen Lage der Türkei im Krisen-Dreieck Balkan, Kaukasus und Naher-/Mittlerer Osten begründet und sieht über einen Zeitraum von 15-20 Jahren Beschaffungsvorhaben in Höhe von 150 Mrd. US $ vor.

Kennzeichnend für die aktuelle Lage der Türkei ist die Wechselwirkung sowie das Spannungsverhältnis zwischen ihrer Rolle zur Stabilisierung der Region und ihren inneren Instabilitäten und Verwerfungen. Die Hauptprobleme, mit denen sich die Türkei konfrontiert sieht, sind grundlegender sozio-ökonomischer Natur. Die schlechte Wirtschaftslage ist ursächlich für zunehmende Islamisierungstendenzen. Durch das Festhalten an einem starren Verständnis des kemalistischen Vermächtnisses droht insbesondere das einflußreiche türkische Militär zu einem Hindernis auf dem Weg zum politischen, ökonomischen und sozialen Fortschritt zu werden. Es gibt keine Hinweise, daß die innenpolitische Krise der Türkei in absehbarer Zeit überwunden werden könnte.

Ohne Lösung der Probleme im Innern wird die Türkei die ihr von den westlichen Partnern und auch von der eigenen Führung zugedachte Rolle eines Stabilitätsankers an der Südostflanke von NATO und EU nicht erfüllen können. Im Gegenteil: Innenpolitische Turbulenzen, die zur einer Stärkung des bislang noch begrenzten radikalen Islam führen dürften, würden die Türkei außenpolitisch unberechenbarer machen, kooperative Lösungen der regionalen Konfliktfragen eher erschweren und einer grundsätzlichen außen- und sicherheitspolitischen Um-Orientierung der Türkei mit der Folge zunehmender Entfremdung von den euro-atlantischen Institutionen Vorschub leisten.

Die innenpolitischen Hypotheken der Türkei schlagen sich in Kernfragen türkischer Außenpolitik nieder. Eine Lösung des Kurden-Problems, das eine innen- und außenpolitische Dimension hat, erscheint durch die verhärtete Haltung des Militärs kaum möglich. Wie für die anderen fünf Staaten, in denen die 12-15 Mio. Kurden leben (Iran, Irak, Syrien, Armenien, Aserbaidschan), sind die Kurden zunächst ein Minderheiten-Problem mit Implikationen vor allem für die innere Sicherheit. Darüber hinaus hat der Kurden-Konflikt aber auch sicherheitspolitische Bedeutung für die Beziehungen zu Iran und Irak.

Während der Iran seit 1994 den Kurden-Führer Djalal Talabani mit Basen im Nordirak, dem Libanon und Syrien unterstützt, setzt die Türkei auf Kurden-Führer Barsani sowie auf die turkmenische Minderheit im Nordirak. Zwischenstaatliche Konflikte als Folge des Kurden-Problems erscheinen jedoch gegenwärtig unwahrscheinlich, da der Konsens der betroffenen Staaten zur Eindämmung und Unterdrückung des Kurden-Problems überwiegt.

In diesen Zusammenhang der innenpolitisch problematischen Rolle des Militärs ordnet sich auch die nach wie vor nur sehr begrenzte Kooperationsbereitschaft der Türkei bei der Lösung des Zypern-Konflikts als wesentlicher Faktor der Instabilität im östlichen Mittelmeer ein. Das türkische Militär spielt auch hier eine eher behindernde Rolle, weil es die ZypernFrage, vor allem den Status Nord-Zyperns, als militärisches Sicherheitsproblem definiert. Solange Nord-Zypern in erster Linie als Stationierungsgebiet für türkische Truppen und militärischer Vorposten gegenüber der Republik Zypern und damit gleichzeitig auch gegenüber Griechenland betrachtet wird, hat ein politischer Lösungsansatz für die Zypern-Frage keine Chance auf Realisierung.

Eine Lösung des Zypern-Problems setzt auf beiden Seiten politische Einigungsbereitschaft in den verschiedenen Kernfragen voraus: Souveränität und Staatsstruktur Zyperns; Status der Volksgruppen zueinander; Regelungen zur Rückkehr der Flüchtlinge, Territorialausgleich und Eigentum; Voraussetzungen/Modalitäten eines EU-Beitritts Zyperns; Sicherheit und Sicherheitsgarantien, vertrauensbildende Maßnahmen. Gleichzeitig liegt der Schlüssel für jede Zypern-Lösung, die sich am Ziel einer bi-zonalen und bi-kommunalen zyprischen Föderation oder Konföderation orientiert, in der Bereitschaft zum Abzug der Truppen Griechenlands und der Türkei und zur Demilitarisierung Zyperns. Der Versuch der Republik Zypern, im Vorfeld der Beschaffung von S-300-Flugabwehrraketen türkenzyprische und türkische Kompromißbereitschaft zu erreichen, ist gescheitert.

Eine Aufnahme Zyperns in die EU entsprechend der in Luxemburg getroffenen Entscheidungen wäre nur unter der Voraussetzung der Aufnahme auch des türkischen Teils denkbar, d.h. auf Grundlage einer bis zum Beitritt Zyperns zu schaffenden föderativen/konföderativen Struktur. Die Beitrittsverhandlungen sind aus EU-Sicht damit ein entscheidendes Instrument der politischen Lösung des Zypern-Problems. Auch die vom Europäischen Rat verabschiedete Heranführungs-Strategie für die völkerrechtlich anerkannte Republik Zypern ändert nichts an der seitens der EU politisch eindeutig formulierten und überdies völkerrechtlich gebotenen Vorgabe, nur ein Gesamtzypern in die EU aufnehmen zu können.

Sowohl die Zypern-Problematik als auch die Behandlung des türkischen EU-Beitrittswunsches müssen in den Zusammenhang der strategischen und stabilitätspolitischen Bedeutung der Türkei und ihres zunehmend labilen inneren Gefüges eingeordnet werden, der auch die Beziehungen zwischen den USA und Europa berührt. Die USA betrachten die Türkei vorwiegend in strategischen Kategorien, wobei wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aspekte von eher nachrangiger Bedeutung zu sein scheinen. Für die Europäische Union hingegen stehen diese Faktoren im Vordergrund, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der in Helsinki gegebenen EU-Beitrittsperspektive für die Türkei. Die amerikanische Fokussierung auf die militärische Sicherheitsdimension und auf militärstrategische Aspekte wird aus europäischer Sicht dem Gesamtspektrum der vielfältigen Herausforderungen in der Region nicht gerecht.

Für Deutschland bedeutet die Türkei in mehrfacher Hinsicht ein Problem, das die deutsche Politik mit einem doppelten Dilemma  belastet: Wenn wir die Türkei ebenso wie die USA nur als strategischen Faktor betrachten, zugleich aber die innenpolitische Lage in der Türkei vernachlässigen (Menschenrechte, Islamismus, Kurden-Problematik), würde eine solche Politik weder im Deutschen Bundestag noch in den Medien Akzeptanz finden, von den hier lebenden Kurden ganz abgesehen. Wenn wir aber die Kurden-Frage, die Menschenrechte und das Demokratieverständnis in der Türkei zu den Hauptbestimmungsgrößen unserer Politik machen, dann wird dadurch die strategische Kooperation belastet und die Türkei womöglich weiter in die Arme des Islamismus getrieben.

Die Türkei bleibt auf den Ausbau der Beziehungen zur EU angewiesen, um ihre wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu lösen. Die gegenwärtig intensivierte Kooperation mit Israel beschränkt sich auf den militärpolitischen Bereich und ergänzt vor allem die strategischen und militär-technologischen Beziehungen zur USA. Die Zusammenarbeit von Türkei und Israel, der beiden bedeutendsten Militärmächte der Region, wird grundsätzlich durch die ablehnende Haltung der arabischen Staaten (Ägypten, Irak, Syrien) und die islamische Opposition im eigenen Land begrenzt bleiben. Eine Abwendung von den euro-atlantischen In-stitutionen würde schließlich die eigenen politischen Grundlagen der kemalistisch geprägten Führungselite untergraben und würde den Islamisten im eigenen Land in die Hände spielen.

Eine (erneute) politische Machtübernahme durch die islamische Opposition wäre demgegenüber mit erheblich größeren Risiken für die westliche Staaten-Gemeinschaft verbunden. Eine absehbare kulturelle Entfremdung verknüpft mit einer ,,Normalisierung" der Beziehungen zu islamischen oder arabischen Problemstaaten wie Iran, Irak oder Libyen würde sowohl die Situation Israels als auch die politisch-strategischen Sonderbeziehungen zu den USA erheblich beeinträchtigen. Die sich anbahnende Normalisierung der amerikanisch-iranischen Beziehungen könnte in diesem Zusammenhang allerdings regulierend wirken. Ein innenpolitischer Transformationsprozess in Richtung eines islamischen Fundamentalismus wäre jedoch von außen nur bedingt beeinflußbar und könnte mittelfristig auch die türkische Mitgliedschaft in der NATO beeinflussen. Das türkisch-griechische Konfliktpotential könnte sich unter diesen Vorzeichen einer geschwächten NATO-Klammer und eines intensivierten religiösen Gegensatzes zunehmend verschärfen. Die Aussicht auf erfolgreichen Widerstand der bisherigen Führungseliten, insbesondere des türkischen Militärs, gegen ein fundamentalistisches Abdriften der Türkei könnte sich als vergeblich erweisen; bürgerkriegsähnliche Zustände böten wenig Aussichten auf die Verwirklichung notwendiger Reformen, innere Stabilität und auf eine konstruktive stabilitäts- orientierte Außenpolitik. Auch die wirtschaftlichen Zwänge einer Kooperation mit Europa könnten unter einer islamistischen Regierung rasch relativiert werden.

Die Voraussetzung für die innere Stabilität muß durch die politisch-militärische Führungsschicht der Türkei selbst geschaffen werden - durch die von ihr selbst noch zu leistenden konsequenten Reformen im demokratischen, rechtsstaatlichen und wirtschaftlichen Bereich. Gleichzeitig gilt aber auch, daß der innenpolitische Glaubwürdigkeitsverlust dieser Führungsschicht durch eine westliche Politik gefördert werden kann, wenn es dieser nicht gelingt, einen politisch, strategisch und wirtschaftlich überzeugenden Integrationskurs für die Türkei aufzuzeigen.

Die Türkei kann ihre potentiell stabilisierende Rolle nur effektiv und im westlichen Interesse wahrnehmen, wenn sie fest in die im Entstehen begriffene europäische Sicherheitsarchitektur eingebunden ist. Aus eigener Kraft und im Alleingang ist sie dazu nicht in der Lage.

Der Heranführung der Türkei an die EU kommt in diesem Zusammenhang also eine entscheidende Bedeutung zu: Die EU läuft Gefahr, über ihre Fokussierung auf die innenpolitischen Defizite der Türkei die angeschlagene, westlich orientierte Führungsschicht im Innern weiter zu schwächen und damit einer Entwicklung zum Islamismus Vorschub zu leisten. Auch und gerade mit einer türkischen Führung, die derzeit offenkundig noch kein Konzept für die Beseitigung der innenpolitischen Defizite besitzt, sollte daher ein umfassender politisch-strategischer Dialog mit dem Ziel einer verstärkten Zusammenarbeit etabliert werden, um auf diesem Wege einen externen Rahmen zu schaffen, der den dringend notwendigen innenpolitischen Transformations-Prozess fördert und der besonderen regionalpolitischen Rolle der Türkei für die westlichen Sicherheitsinteressen gerecht wird.

Weder das starre Festhalten an der kemalistischen Staatsraison noch der politische Islam scheinen zukunftsträchtige Wege für die Entwicklung des Landes zu sein. Dieser Weg liegt allein in der Stärkung demokratischer europäischer Traditionen. Gerade die Europäer müssen daran interessiert sein, eine westlich orientierte Demokratie mit marktwirtschaftlicher Ordnung auch im Rahmen einer primär islamisch geprägten, multi-ethnischen Gesellschaft zu etablieren. Europäer und Amerikaner haben gemeinsame vitale Interessen im Mittelmeerraum; eine im Innern reformierte, stabile Türkei wird bei der Wahrung dieser Interessen eine wichtige Rolle spielen.

A u s b l i c k

Nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes haben sich auch im Mittelmeerraum die Krisen-und Konfliktszenarien wesentlich verändert. Zwischenstaatliche Konflikte sind weniger wahrscheinlich geworden, weil eine aktive militärische und politische Unterstützung von Stellvertreter-Staaten durch zwei Supermächte nicht mehr gegeben ist. Die volkswirtschaftliche Entwicklung, reduzierte Militärhilfen und die Tatsache, daß Rüstungsmaterial im Gegensatz zu früher nun bezahlt werden muß, zwingen die Staaten der Region - mit Ausnahme der Golf-Anrainer - zu Einsparungen im Rüstungsbereich. Innerstaatliche Konflikte stellen die größte politische Gefahr für die Entwicklung und die wirtschaftliche Konsolidierung der nord-afrikanischen und nah-östlichen Staaten dar. Kein arabischer Staat ist jedoch derzeit durch radikal-islamische oder fundamentalistische Kräfte in seiner Existenz bedroht.

Territorialansprüche, Souveränitätsfragen, Spannungen um den Zugriff auf Ölvorkommen und damit verbundene zwischenstaatliche Konfliktgefahren sind in Nord-Afrika und im Nahen Osten erheblich zurückgegangen.

Insbesondere in Nord-Afrika verbesserte sich die strategische Gesamtlage durch die abgeschlossenen Grenzabkommen, durch die zunehmende Veralterung militärischen Großgeräts und die Herausbildung und Festigung ökonomischer Integrationsstrukturen. Die Zugriffsrechte auf mediterrane Gebiete außerhalb der 12-Seemeilen-Zone könnten allerdings in Zukunft Anlaß für zwischenstaatliche Konflikte sein. Der Streit um die Große Syrte 1973 und der Schiedsspruch des Internationalen Gerichtshofs 1988, der zur tunesisch-libyschen Joint-Exploration-Zone führte, sind erste Hinweise auf das Konfliktpotential, das sich mit dem Zugriff auf die Ölfelder im Mittelmeer verbindet.

Wasser als strategische Ressource birgt sowohl in Nordafrika als auch im Nahen Osten Konfliktpotential. Spannungen herrschen zwischen Ägypten, dem Sudan und Äthiopien wegen des Nil-Wassers, zwischen Syrien und dem Irak einerseits und der Türkei andererseits wegen des Euphrat und Tigris und zwischen Israel und den angrenzenden arabischen Staaten wegen des Jordanwassers und verschiedener Grundwasser-Vorkommen.

Die Proliferationsaktivitäten einer Reihe von Staaten des Mittelmeerraums insbesondere von Iran. Irak und Libyen stellen einen erheblichen Faktor der Unsicherheit und Instabilität dar. Die treibenden Kräfte für die Rüstungen des Irans und des Iraks sind die Erfahrungen aus dem Golf-Krieg und die regionalen Führungsansprüche. Die Aktivitäten Irans werden auf weitere Sicht die Abdeckung der gesamten Nahost-/Mittelostregion einschließlich der Türkei mit weiterreichenden Trägermitteln ermöglichen; gleichzeitig tragen sie zu Aufrüstungsbestrebungen in der gesamten Region bei. Trotz Mitgliedschaft im nuklearen Nichtverbreitungsvertrag sprechen viele Indizien für die Durchführung eines geheimen iranischen nuklearen Waffenprogramms. Auch Libyen versucht langfristig, ein strategisches Potential im Bereich der Luft-Streitkräfte und der Massen-Vernichtungswaffen aufzubauen. Aufgrund geringer Leistungsfähigkeit seiner Flugzeuge, geringen Ausbildungsstands der Flugzeugführer und hoher Vernichtungs-Wahrscheinlichkeit durch leistungsfähige Abwehrsysteme ist die theoretisch mögliche Bedrohung der Südflanke der NATO durch Libyen tatsächlich von geringer praktischer Relevanz. Syriens Beschaffungs-Aktivitäten im Bereich der Massenvernichtungswaffen und ballistischen Raketen sind vorrangig durch das Bestreben bestimmt, strategische Parität mit Israel zu erreichen; bereits jetzt kann Israel durch syrische Flugzeuge und Scud-Raketen vollständig abgedeckt werden. Gleichzeitig richtet sich Syrien aber auch auf die Türkei und Irak aus, die ebenfalls Teil seiner Bedrohungsperzeption sind. Syriens Rüstungsabsichten sind allerdings durch seine wirtschaftlichen Möglichkeiten enge Grenzen gesetzt.

Eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen liegt in der Bewältigung der Folgen des extrem hohen Bevölkerungswachstums in den arabischen Staaten. Im Zentrum möglicher Migrationsauswirkungen stehen neben Frankreich, Spanien und Italien, auch Deutschland; hier leben schon heute mehrere Millionen Menschen aus den Ländern Nord-Afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens. Im Zeitraum nach 2005 könnte im gesamten Raum Nordafrikas und des Nahen Ostens die innerregionale Stabilität durch das zeitliche Zusammentreffen von hohem Bevölkerungswachstum, zunehmender Verknappung der fossilen und fließenden Wasserressourcen sowie politischer Nachfolgeprobleme in den einzelnen Staaten erheblich gefährdet werden.

Darüber hinaus erscheint ein erhöhter Migrationsdruck unausweichlich, wenn es nicht gelingt, die sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen für die stark wachsende Bevölkerung zu verbessern und das Einkommensgefälle zwischen den Süd- und Nord-Anrainern des Mittelmeer zu verringern.

Angesichts der vielschichtigen Risiken und militärischen Gefahrenpotentiale muß Sicherheits- und Stabilitätspolitik für den Mittelmeerraum von einem breiten strategischen Ansatz getragen werden, der politische, ökonomische und militärische Interessen zu einem wirksamen Ganzen bündelt. Dabei müssen alle institutionellen Formen der Zusammenarbeit genutzt werden.

Für die Europäische Union hat der Aufbau einer dauerhaften Partnerschaft mit den Mittelmeerpartnern eine vergleichbare Bedeutung wie die auf Integration gerichtete Politik gegenüber den Nachbarländern in Mittel- und Osteuropa. Ohne Stabilität im Osten gibt es keine Sicherheit in Europa, ohne Stabilität im Süden wird es keine Sicherheit für Europa geben.

Angesichts der zunehmenden strategischen Bedeutung des Mittelmeerraums, wirtschaftlich ebenso wie als Teil der europäischen Sicherheits- und Stabilitätszone, hat die EU mit Beginn der 90er Jahre eine Intensivierung ihrer Mittelmeerpolitik vorgenommen. Am 27./28. November 1995 wurde in Barcelona zur Förderung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stabilität der Region eine breit angelegte inter-regionale Zusammenarbeit mit Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Syrien, Palästinensischen Autonomiegebieten, Türkei, Malta, und Zypern begründet: die Partnerschaft Europa-Mittelmeer. Es wurden dabei drei Zielsetzungen aufgestellt:

  • Schaffung einer gemeinsamen Zone des Friedens und der Stabilität
  • Schaffung einer Zone des gemeinsamen Wohlstands durch Errichtung einer Freihandelszone
  • Förderung des gegenseitigen Verständnisses der Kulturen und des Austausches zwischen den Zivilgesellschaften.
  • Zur Realisierung dieser Ziele hat die EU 4,68 Mrd. ECU für ein Fünfjahres-Programm zur Verfügung gestellt.

Der politische und sicherheitspolitische Dialog wird in drei Richtungen vorangetrieben: Erarbeiten eines Katalogs vertrauens- und sicherheitsbildender Maßnahmen, Umsetzen und Aktualisierung eines umfassenden Aktionsplans und Ausarbeitung einer Europa-Mittelmeer-Charta/Pakt für Frieden und Stabilität für die Mittelmeer-Region.

Bei der Implementierung der Barcelona-Entscheidungen wurde jedoch erneut deutlich, wie eng die politischen Prozesse im Mittelmeerraum miteinander verflochten sind, vor allem wie stark auch die Entwicklung einer umfassenden Partnerschaft zwischen der EU und den Mittelmeer-Partnern von Fortschritten im Nahost-Friedensprozeß abhängig ist.

Da letztlich sowohl Israel als auch die Arabischen Staaten ein eigenes Interesse haben müßten, bei der Lösung ihrer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Probleme auf die Unterstützung ihrer europäischen Partner zurückgreifen zu können, scheint die Hoffnung berechtigt zu sein, daß der Barcelona-Prozeß als Dialog- und Kooperationsforum nicht nur erhalten, sondern tatsächlich auch substantiell fortentwickelt werden kann.

Die WEU hat 1992 zunächst den Dialog mit den Maghreb-Staaten Mauretanien, Marokko, Algerien, und Tunesien aufgenommen. Mit der Kirchberg-Erklärung von 1994 wurde der Dialog auf Ägypten, seit dem 26. Mai 1995 auch auf Israel ausgeweitet. Die halbjährlichen bilateralen Treffen auf Botschafterebene dienen der Unterrichtung der Partner über Entwicklungen in der WEU und der Diskussion über gemeinsam interessierende sicherheitspolitische Fragen. Dieser Dialog ergänzt damit die Kooperation der EU mit diesen Ländern im sicherheitspolitischen Bereich.

Anders als im Barcelona-Dialog ist es bisher im WEU-Mittelmeer-Dialog nicht gelungen, sich auf ein substantielleres Arbeitsprogramm zu verständigen. Während die WEU daran interessiert ist, den Dialog auf Fragen militärischer Sicherheit zu konzentrieren, setzten die Dialogpartner in den vergangenen Jahren den Akzent eher auf allgemeine sicherheitspolitische Fragestellungen im sozio-ökonomischen Bereich.

Schließlich hat auch die NATO dem Bedeutungswandel der Mittelmeer-Region Rechnung getragen. Die Vielzahl möglicher Bedrohungen und Risiken fordert ein effektives politisch-militärisches Krisenmanagement durch die NATO. Als Vorsorge gegenüber diesen Sicherheits- und Stabilitätsrisiken verfolgt das Bündnis einen breiten Ansatz, der auch ein umfassendes Spektrum militärischer Handlungsoptionen einschließt. Dieses reicht von vielfältigen humanitären, friedenserhaltenden und Krisenmanagement-Einsätzen der Bündnisstaaten, über kollektive Verteidigungsmaßnahmen gegen terroristische oder militärische Bedrohungen gemäß Artikel 5 des Washingtoner Vertrages, bis hin zur Abwehr des Einsatzes von Flugkörpern mit und ohne Massenvernichtungswaffen gegen das Bündnis.

Auf dem NATO-Gipfeltreffen 1994 haben die Bündnisstaaten bekräftigt, daß die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Trägermitteln eine Bedrohung der internationalen Sicherheit darstellt und entschieden, die politischen und verteidigungspolitischen Anstrengungen gegen die Proliferation zu intensivieren.

Zwei Arbeitsgruppen (Senior Politico-Military Group on Proliferation - SGP - und Senior Defence Group on Proliferation - DGP) befassen sich seither mit den Proliferationsfaktoren in verschiedenen Regionen der Welt (Maghreb, Nahmittelost etc.) sowie den Instrumenten zu ihrer Verhinderung und Eindämmung. Dazu wurden die Bedrohung des Bündnisses beurteilt, die benötigten militärischen Fähigkeiten analysiert, die Schwachstellen der NATO in der Abwehr von Proliferationsrisiken ermittelt und ein Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der militärischen Reaktionsfähigkeiten der Allianz verabschiedet. Diese Arbeit in den Bündnisgremien trägt der geographischen Verlagerung der Hauptrisiken in Richtung Mittelmeer und Mittlerer Osten in besonderer Weise Rechnung, vor allem mit Blick auf die Problemstaaten Iran, Syrien, Irak und Libyen.

Die NATO-Oberbefehlshaber SACEUR und SACLANT sind planerisch auf verschiedene Konflikt- und Bedrohungssituationen im Mittelmeerraum eingestellt. Ungeachtet der gegenwärtig geringen Wahrscheinlichkeit direkter militärischer Konfrontationen gibt es dort interne Planungsüberlegungen, die das gesamte Risikospektrum abdecken und für mögliche friedenserhaltende Einsätze, regionale Artikel-5-Optionen sowie Sicherheitsvorsorge gegen Risiken unterhalb der Artikel-5-Schwelle (Unterstützung regionaler Stabilität, Abschreckungsoperationen gegenüber Staaten mit MVW, Schutz von Streitkräften im Rahmen von friedenserhaltenden Maßnahmen) umfassen.

Mit den Entscheidungen von Berlin, Amsterdam und Madrid wurden die militärischen Planungen und Fähigkeiten der NATO mit den Erfordernissen der WEU verzahnt. Auf diese Weise werden deren Möglichkeiten zum Krisenmanagement im Kontext der Petersberg-Aufgaben erheblich erweitert. Dies wird ergänzt durch die Weiterentwicklung eigener operativer Fähigkeiten der WEU-Staaten, die so zu verbesserter europäischer Handlungsfähigkeit und militärischer Wirksamkeit beitragen. Mit EUROFOR und EUROMARFOR treten künftig eigenständige europäische Verbände für das Mittelmeer neben die STANAVFORMED der NATO. Wenngleich nicht ständig präsent, können diese Verbände sowohl NATO-assigniert im Bündnisrahmen, als auch unter WEU-Führung eingesetzt werden, falls es die Situation erfordert.

Neben den stärker militärisch orientierten Aktivitäten hat die NATO auch politisch auf die veränderte Bedeutung des Mittelmeerraumes reagiert. Im Rahmen der Gipfelentscheidungen von Brüssel hat sie 1994 auch eine Mittelmeerinitiative ergriffen und einen Dialog mit den Staaten der Region vorgeschlagen, die den größten Stabilitätsbeitrag leisten. Dieser Dialog schließt gegenwärtig Mauretanien, Marokko, Tunesien, Ägypten, Israel und Jordanien ein. Der NATO-Mittelmeer-Dialog soll einen Beitrag zur Sicherheit und Stabilität der gesamten Region leisten, aber auch Mißverständnisse über die NATO und ihre Aufgabenstellung bei den Dialogpartnern ausräumen. Dazu dient auch die Einrichtung der NATO-Kontakt-botschaften.

Thematisch stehen Aspekte der Rüstungskontrolle, die Öffnung von NATO-Ausbildungseinrichtungen, vor allem des NATO Defense Colleges, sowie erweiterte militärische Zusammenarbeit auf den Feldern Peacekeeping und Krisenmanagement im Vordergrund. Der Dialog, der im Rahmen der ,,Mediterranean Cooperation Group" stattfindet, soll das Interesse der Allianz zu engeren und kooperativen Beziehungen untermauern, aber auch zur notwendigen Transparenz und Vertrauensbildung beitragen; dies ist um so wichtiger, als die militärische Dimension des Bündnisses bei einzelnen Dialogpartern nach wie vor auf ein gewisses Maß an Mißtrauen stößt.

Aus deutscher Sicht kann nur ein umfassender Ansatz, der die politischen, ökonomischen und sozialen Probleme des Mittelmeer-Raumes erfaßt, zu einer erfolgversprechenden Stabilitätspolitik führen. Die deutsche Politik nach Osten und die Politik nach Süden sind zwei Seiten einer Stabilitätspolitik in und für Europa. Der aktive deutsche Beitrag zu den Mittelmeer-Initiativen der euro-atlantischen Organisationen und die personelle Beteiligung an der neuen Kommando-Struktur der NATO bringen diese Zielvorstellung zum Ausdruck.

Die veränderte Bedeutung des Mittelmeer-Raumes für die Sicherheit und Stabilität Europas erfordert, daß Deutschland einen Beitrag für die gemeinsame Sicherheit in und für Europa leistet, der seinem politischen, ökonomischen und demographischen Gewicht entspricht und der Rolle und Bedeutung Deutschlands in der NATO und EU gerecht wird. Das Krisenpotential in der Süd-Region ist nicht nur eine Gefahr für die Anrainer, sondern birgt Risiken für ganz Europa. Eine deutsche und europäische Mittelmeerpolitik, die Dialog, Kooperation, Entwicklungshilfe und politisches Krisenmanagement vereinigt, entspricht unseren Möglichkeiten und außen- aber auch innenpolitischen Interessen (Eindämmung illegaler Migration nach Deutschland; Unterbindung der Aktivitäten radikaler Oppositionsgruppen aus Mittelmeer-Ländern in Deutschland). Deshalb können wir uns nicht nur auf Zentraleuropa konzentrieren.

Erfolgreiche Stabilitätspolitik für den Mittelmeerraum erfordert aber auch den strategischen Dialog zwischen den USA und ihren europäischen Partnern. Ein solcher Dialog muß alle strategischen Herausforderungen umfassen - politische, ökonomische, soziale wie auch militärische. Er ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, daß wir die gemeinsamen lnteressen definieren, die wesentlichen Bestimmungsfaktoren und wahrscheinlichsten Konflikt-Szenarien festlegen sowie unsere Politikansätze gemeinsam planen und harmonisieren können.

 

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